Wilhelm Genazino: „Das Glück in glücksfernen Zeiten“ – Vom Scheitern und dem ersehnten Glück

Jaja, wer kennt das nicht? Da schlittert man von einer Katastrophe in die nächste und das Leben meint es mal wieder nicht gut mit einem. Doch mal ehrlich, in den meisten Situationen macht man sich das Leben im Grunde selbst schwer und wenn man scheitert liegt es an einem selbst wieder aufzustehen. Nur manche Menschen wollen das nicht sehen…

Solche Menschen nimmt sich der Autor Wilhelm Genazino gerne als Protagonisten seiner sensiblen Bücher. Es sind meist liebenswerte „Scheiterer“, die sich nach Abenteuer und Glück sehnen und verzweifelt darauf warten. Doch dann zieht das Leben eben an einem vorbei…

Solch ein Charakter ist auch Gerhard Warlich, „Held“ in Genazinos aktuellen Buch „Das Glück in glücksfernen Zeiten„. Er ist promovierter Philosoph, doch leider meint es der Arbeitsmarkt nicht gut mit dieser Berufsklasse und so muss Warlich eben in einer Wäscherei arbeiten. Irgendwann wird er was anderes machen, irgendwann werden Abenteuer und Glück kommen. Nur wann? Warlich schwelgt in seinem Leid. Sein Leben ist leer. „Halbtags leben„, das ist sein großes Ziel, doch, wie wir alle wissen, geht das einfach nicht.

Und immer wieder fragt er sich warum. Aus dem kurzen Wäscherei-Job werden schließlich 15 Jahre und als dann noch seine eher lebenslustige Freundin Traudel ein Kind möchte, klappt das wieder nicht mit dem „halbtags leben“. Doch statt sich den Tatsachen zu stellen, flüchtet sich Warlich in seine eigene kleine Welt. Er träumt davon eine Schule der Besänftigung aufzumachen. In Gedanken sieht er sich unterrichten, ja, er entwirft sogar Stundenpläne. Doch wieder spielt das Leben nicht so wie er es will: Aus Zufall gerät er in eine Demo und sein Job wird gekündigt…

Warlich ist ein tragischer Anti-Held, der am Leben und vor allem an seiner Teilnahmslosigkeit verzweifelt. Er will in den Verlauf eingreifen, schafft es jedoch nicht und gibt dann gleichzeitig immer wieder dem Scheitern und dem Unglück selbst die Schuld anstatt diese natürlichen Situationen als Chance zu begreifen. Doch gleichzeitig schafft er auch das Leben an sich mit kompromissloser Genauigkeit zu sezieren. Darin besteht eine zusätzliche Tragik oder auch eine Ironie des Schicksals…

Wir müssen uns das Außerordentliche selber machen, sonst tritt es nicht in die Welt.“ Mit dieser Erkenntnis hat Genazino den Roman, der auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist, wohl am besten zusammengefasst.

Eine Wohltat der sensible Stil des Autors, der immer wieder zwischen Melancholie und ironischer Betrachtung hin und her pendelt. Ohne diese Raffinesse wäre die Geschichte wohl auch nicht zu ertragen. Mit ihr aber, ist es ein außerordentliches Buch, das einen über seine eigenen eventuell vertanen Chancen nachdenken lässt.

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