In „Bittersüße Heimat“ beschreibt die Soziologin und Frauenrechtlerin Necla Kelek, die in ihren Texten vor allem Fragen zur Migrationspolitik behandelt und Kritk am Islamismus ausübt, anhand einer Reise durch ihr Geburtsland die kulturellen Unterschiede, beschäftigt sich kritisch mit dem politischen System und lässt vor allem die in der Türkei lebenden Frauen zu Wort kommen.
Necla Kelek – Bittersüße Heimat
Necla Kelek ist eine bemerkenswerte und mutige Frau. Im Mai hatte ich das Glück im Rahmen der Kreuzberger Buchnacht in Berlin eine Lesung aus ihrem Buch „Bittersüße Heimat“ besuchen zu können und war fasziniert von der kulturellen Vielfalt, dem Nebeneinander, Gegeneinander und Miteinander, zwischen den europäisch geprägten jungen Kreativen im hippen Istanbul und den traditionellen und extrem konservativen Bürgern in den anatolischen Bergen, die Kelek bei ihrer Reise durch ihr Geburtsland lebendig beschreibt. So unterschiedlich die einzelnen Regionen der Türkei sind, so vielfältig sind auch die Bewohner, die sich aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammensetzen, völlig gegensätzlich – „bittersüß“ eben, wie die Eindrücke, die die Autorin von ihrer Reise mit nimmt.
Ein Bericht aus dem Inneren der Türkei
Dabei nimmt Necla Kelek, die sich in der Vergangenheit vor allem mit der Migrationspolitik und Emanzipation der islamischen, vor allem türkischen Frauen in Deutschland beschäftigte, in ihrem „Bericht aus dem Inneren der Türkei“ zum ersten Mal das Land ihrer Herkunft und damit auch die Wurzeln derer, für die sie kämpft und politisch aktiv ist, unter die Lupe. Das Buch beginnt mit einem Ende. Gleich im ersten Kapitel wird anhand der Begräbnisfeier ihres Onkels die Bedeutung der Familie als sozialer Verband ersten Ranges für Kultur und Gesellschaft analysiert. Mit einem großen Schatz an Faktenwissen und Erfahrungsberichten untersucht sie die jüngste Geschichte und aktuelle politisch/religiöse Fragen. Kann ein nationalistisches und von chauvinistischen und anti-emanzipatorischen Strömungen durchzogenes Land wirklich vor der europäischen Demokratie bestehen? Vor allem die Position der Frauen wird in dem Buch besonders beleuchtet. Kelek schreibt jedoch nicht nur über die Entführung einer jungen Deutsch-Türkin, sondern berichtet außerdem über die mutige Arbeit einer Frauenberatungsstelle, von Feministinnen, die sich in der tiefsten Provinz behaupten, dem ganz alltäglichen Kampf gegen Repressionen und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Necla Kelek – eine mutige Autorin
Necla Kelek schreibt seit ihrem Erfolg mit „Die fremde Braut“ zum ersten Mal nicht über Isolation und Migration junger Türken, vor allem Frauen, in Deutschland, sondern setzt sich tiefer, am Ort, wo sie ihren Ursprung haben, damit auseinander. In der Türkei geboren, kam sie vor 40 Jahren als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland und promovierte mit einer Arbeit über „Islamische Religiosität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft“ hier in Soziologie. Sie selbst wuchs unter der Gewalt eines patriarchalischen Vaters auf, der sie traditionell erziehen wollte und z.B. die Teilnahme am Sportunterricht verbot. Nach ihrer eigenen Emanzipation veröffentlicht sie heute vor allem feministische Texte und kritisiert dabei häufig den Islamismus, z.B. für Emma und die FAZ. Sie spricht sich für ein Kopftuch- und Tschador-Verbot an Schulen aus, protestiert gegen Zwangsverheiratung und häusliche Gewalt und arbeitet regelmäßig als Islam-Expertin in der westlichen Kultur auf der Islam-Konferenz der Bundesregierung. Für ihre kritische und politische Arbeit wird sie häufig angefeindet und kontrovers diskutiert, verliert jedoch nie den Mut sich mit Engagement für ihre Ideale und Menschenrechte einzusetzen.
Bittersüße Heimat: Bericht aus dem Inneren der Türkei
von Necla Kekel erschienen bei
Kiepenheuer & Witsch, im September 2008 als gebundene Ausgabe