Ein Science-Fiction-Buch der ganz anderen Sorte, das mich in letzter Zeit sofort überzeugt hat, ist „Er, Sie und Es“ von Marge Piercy. Es bewegt sich in großen Teilen jenseits der üblichen Handlungs- und Erzählweise und schafft so das Genre zu bereichern.
Viele behaupten es sein „feministische Science-Fiction“. Das halte ich aber für ziemlich überzogen, denn nur, weil die Hauptpersonen Frauen sind, spielen die Geschlechter hier sonst keine wesentliche Rolle. Nein, ganz andere Dinge stehen hier im Vordergrund! Marge Piercy verabschiedet sich nur von dem Klischee des muskelbepackten Weltraumhelden. Und in diesem Fall ist ja auch nicht von „maskuliner Science-Fiction“ die Rede… 😉
Im Vierzehntagekrieg im Jahr 2017 wurde der gesamte Nahe Osten durch einen Atombombenanschlag weggefegt und ist ein paar Jahrzehnte später nur noch ein schwarzer Fleck auf den Landkarten. Der Rest der Welt ist verseucht. 23 große Konzerne, die sogenannten Multis, haben den Planeten unter sich aufgeteilt. Diese leben in großen Städten unter Kuppeln und bestimmen über das Schicksal der Bürger („1984“ lässt Grüßen…). Die meisten Menschen vegetieren im sogenannten Glop vor sich hin, einer Art riesigem Slum, der sich außerhalb der Kuppeln gebildet hat. Hier bestimmen Gewalt und Krankheiten das Leben. Doch in all diesem Chaos haben sich noch ein paar kleine freie Städte gehalten, die von den Multis aufgrund der Geschäfte mit ihnen verschont werden.
Eine dieser freien Städte ist Tikva. Von hier kommt Shira Shipman, die am Anfang der Geschichte noch für einen der Multis, Y-S, arbeitet und verzweifelt um das Sorgerecht ihres Sohnes Ari kämpft, das ihrem Ex-Mann zugesprochen wurde.
Um sich von all den Strapazen zu erholen kehrt Shira Y-S den Rücken und kehrt nach Tikva zu ihrer Großmutter Malkah, bei der sie aufgewachsen ist, zurück. Doch hier soll sie sich nicht nur ausruhen, sondern auch Malkah und Avram, dem Vater ihrer Jugendliebe Gadi, bei einem geheimen Projekt helfen. Avram ist es nämlich gelungen entgegen allen Verboten einen Cyborg zu bauen, der vom Mensch kaum zu unterscheiden ist.
Diesen Cyborg, namens Jod, soll Shira nun trainieren, so dass er unter anderen Menschen nicht mehr auffällt. Jod kann stetig dazulernen und ist bestrebt menschlich zu werden. Er und Shira verlieben sich ineinander…
Jod, der eigentlich als Waffe konzipiert ist um Tikva zu beschützen, hilft Shira schließlich ihren Sohn zurückzubekommen. Doch so beschwören die einen Kampf zwischen Tikva und Y-S herauf und Jod ist zwischen seiner Bestimmung und der menschlichen Seite in ihm hin und her gerissen…
Die Autorin Marge Piercy entführt uns hier in eine Welt des Cyberpunk, die sie geschickt immer wieder mit dem jüdischen Leben, den Bräuchen und der Mystik durchzieht. Malkah erzählt parallel zur eigentlichen Geschichte Jod die Sage des Golems im mittelalterlichen Prag, die auch sein Schicksal bestimmen wird.
„Er, Sie und Es“ ist alles andere als hohle Science-Fiction. Es geht hier eher um die zukünftigen Beziehungen der Menschen untereinander und um die Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine und deren Verschmelzung. Wann ist ein Lebewesen lebendig? Was macht einen zur Person? Gleichzeitig ist das Buch aber auch eine moderne Adaption der Geschichte um den Golem des Rabbi Löw. Die Zukunft ist äußerlich anders, doch innerlich hat sich an den Menschen und deren Konflikten nicht viel geändert.
Das Buch zieht einen mit seinen vielen tollen kleinen Ideen sofort in seinen Bann und wirft doch einige Fragen auf. Und das sind zwei Dinge, die für mich gute Science Fiction ausmachen…
„Er, Sie und Es“ ist kein Meisterwerk, aber doch eine wichtige Bereicherung des Genres!