Noch heute streitet man darüber, ob der Begriff Sozialdarwinismus überhaupt eine legitime Weiterentwicklung oder Ableitung des Darwinismus, der weitgehend synonym mit der Überzeugung verwendet wird, dass Darwins Evolutionstheorie anderen vorzuziehen ist, ist.
Seit der Evolutionsbiologe und Gründervater der modernen Biologie Charles Darwin 1859 mit seinem revolutionären Werk „Über die Entstehung der Arten“ seinen Namen schlagartig bekannt gemacht hat, wurde über seine Theorie, die die Mechanismen der Evolution beschreibt und erklärt, debattiert.
Während die Einen schnell von ihrer Richtigkeit überzeugt waren, sträubten sich viele Andere, v.a. da die Rolle Gottes im Zusammenhang mit der Entstehung des Lebens, und damit auch des menschlichen Lebens, auf einen zu vernachlässigenden Bruchteil geschrumpft war oder gar ganz außer Acht gelassen werden konnte.
Doch unter den zahlreichen Anhängern Darwins gab es auch solche, die, von der Richtigkeit von Darwins Theorie nicht nur überzeugt, sondern geradezu euphorisiert, die Maxime vom Überleben des Tüchtigsten bzw. am besten Angepassten (survival of the fittest), auf das die Evolutionstheorie immer wieder reduziert wird, auch auf den gesellschaftlichen, sozialen Bereich zu übertragen.
Sozialdarwinismus im 19. Jahrhundert
In einer Zeit des Imperialismus und Kolonialismus wurde die neue Theorie vor allem von denen aufgenommen, die Legitimationen für ihre Eroberungs- und Unterdrückungspolitik brauchten. Das Attribut fit wurde, den kulturellen Errungenschaften und kognitiven Fähigkeiten der Menschheit und der Herauszögerung des Todes durch medizinischen Fortschritt zum Trotz, auf ganze Gesellschaften, Bevölkerungsgruppen oder Nationen, in der Sprache des 19. Jahrhunderts Rassen, Eins zu Eins übertragen.
So blendet der Sozialdarwinismus dieser Zeit vollkommen die einzigartige Fähigkeit des Menschen aus, sich von den rein biologischen Mechanismen der Evolution zu befreien und ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu erlangen.
Sozialdarwinismus heute
Heutzutage wird der Begriff Sozialdarwinismus häufig mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht, dessen Rassenideologie und v.a. Eugenik als Konsequenzen der, so die Nazis, im Sinne Darwins evolutionstheoretisch belegbaren Überlegenheit der sogenannten arischen Rasse während der Zeit des Dritten Reiches, aber auch schon in der Zeit zuvor legitimiert wurden.
Dabei wird häufig vergessen, dass Charles Darwin selbst ein Gegner der Sklaverei und Befürworter der Gleichheit aller Menschen war. Die Berufung der ns-Rassenideologen auf Darwin fußt daher auf ebenso tönernen Füßen wie die auf Nietzsche, dessen Philosophie (u.a. des Übermenschen) genauso modifiziert, interpretiert und missbraucht wurde wie die Gedanken Darwins.
Der Sozialdarwinismus ist aber auch heute noch Inspiration für die Wissenschaft: so sind die eher neuen Wissenschaftsgebiete Soziobiologie und Evolutionspsychologie auf grundlegenden Annahmen Darwins begründet, an denen die Mehrheit der Naturwissenschaftler ja auch gar nicht zweifelt.
Wie so viele andere Begriffe sollte Sozialdarwinismus aber nicht als Schlagwort benutzt werden, um Andersdenkende auf unredliche Weise zu diffamieren, sondern im Kontext verstanden werden.