Was heutzutage für monatelange Schlagzeilen sorgt, war damals in diversen Kulturen verbreitet, aber Kannibalismus ist nicht nur ein Zeichen fehlender Zivilisation, sondern hat diverse andere Gründe, nicht alle beruhigend.
Eines vorweg, es gibt große Unterschiede zwischen dem Kannibalismus, den Menschen wie Dahmer oder Meiwes auslebten und den ritualistischen oder sogar lebenserhaltenden Maßnahmen früherer Zivilisationen, Armeen und Ureinwohnerstämme. Leider, ist es jedoch kein Relikt der Vergangenheit, auch heute noch gibt es schockierende Fälle, die uns aufzeigen, wie weit wir von einer echten zivilisierten Gesellschaft entfernt sind.
Der Begriff kommt aus Spanien und bezeichnet eigentlich nur einen einzigen Westindischen Stamm, den „Carib“, die für das Verzehren von Menschen bekannt waren und „Caníbales“ genannt wurden. Bis heute ist es nicht genau bekannt, ob die Carib tatsächlich Kannibalen waren, da es ein probates Mittel der „westlichen Kulturen“ war, Ureinwohner durch Gerüchte und Vorurteile als wild und unzivilisiert dar zu stellen, das Verzehren der eigenen Stammesmitglieder schien da die eindrucksvollste Art und Weise der Defamierung zu sein.
Gründe für Kannibalismus
Eigentlich nur den frühen, menschlichen Kulturen zugeschrieben, hat Kannibalismus bis in unsere Zeit hinein Eindruck hinterlassen, das jedoch aus unterschiedlichsten Gründen. Von diesen Vorfällen kann sich auch die westliche Kultur nicht freistellen, so wurden selbst in amerikanischen Kolonien Beweise für Kannibalismus gefunden.
1. Religion
Viele Stämme haben Kannibalismus für ritualistische Zwecke angewendet, dabei wurden meistens nur einzelne Körperteile verspeist (meistens das Herz, die Leber oder die Zunge), die für Kraft sorgen sollten. Oftmals geschah das mit Feinden und nicht mit internen Stammesmitgliedern. In einem auch heute noch aktiven Stamm Korowai in Papua wird Kannibalismus angeblich auch als Strafe verwendet, genaue Zeugenberichte gibt es jedoch nicht darüber. Aus damaliger Sicht wurden bestimmten Körperteilen magische Kräfte zugesagt, deren Verzehr diese Kräfte übertragen würde. Auch heute noch gibt es Fälle in Afrika, in denen Albinos getötet und für ritualistische Zwecke verzehrt werden.
2. Hunger
Einer der größten Gründe für Kannibalismus auch in das 21. Jahrhundert hinein, waren extreme Umstände und Hunger, die Stämme, häufig auch Armeen dazu zwangen, verstorbene Kameraden oder Gegner zu essen. Besonders während großer Hungernöte oder aber bei Schiffsunglücken kam es vor, dass tote, aber auch lebende Menschen gegessen wurden, so etwa beim Schiffsunglück der Essex, bei der bis zu 90 Menschen verunglückten, nur zwei überlebten. Selbst im zweiten Weltkrieg soll es in den KZs zu Fällen gekommen sein. Einer der aktuellsten Fälle dürfte der Flugzeugabstürz der Air Force 571 sein, deren Überlebende sich von den Überresten der Verunglückten ernährten.
3. Krieg und Einschüchterung
Immer wieder wird von Stämmen und Armeen gesprochen, die ihre Feinde verzehrten, so wird von den Ungaren berichtet, dass sie im Mittelalter einen Ruf dafür hatten, ihre Gegner zu töten und zu verspeisen, daher geht man auch davon aus, dass sich das englische Wort „Oger“ vom französischen Wort „hongre“ ableitet. Besonders die chaotischen Zustände im Krieg mögen dazu führen, dass selbst im 21. Jahrhundert noch in Kriegsgebieten Fälle von (meistens) ritualistischem Kannibalismus aufgetreten sind. Joshua Blahyi und Charles Taylor waren beide beteiligt und berichteten von Tötungen und Verzehr von Gegnern im Kriegssituationen.
4. Soziopathische Störungen
Serienmörder wie Dahmer, Chikatilo, Dorangel Vargas oder Albert Fish haben zugegeben, Opfer verspeist zu haben, in einem Interview gab Dahmer zu, dass es ihn einfach interessierte, dass es wie eine Art Obsession war, vor der er sich nicht retten konnte, dass er damit allerdings auch seine Opfer für immer an sich binden wollte. Da es Dahmer bei seinen Taten vorwiegend um Nähe und Dominanz ging, kann man bei ihm also davon ausgehen, dass Kannibalismus von Serienkillern auch als Symbol für unmittelbare Nähe zu einer Person gesehen werden kann, die die oftmals sozial beeinträchtigten Täter ansonsten nicht erreichen konnten.
In vielen Fällen spielte eine sexuelle Komponente mit hinein, auch Meiwes gestand dies. Als psychologische Krankheit ist Kannibalismus nicht gelistet, höchstwahrscheinlich auch, weil es in den seltensten Fällen allein auftritt, zudem im individuellen Rahmen (so wie bei Meiwes) kaum Statistiken geführt werden können, da diese Fälle doch relativ selten sind.
Man kann davon ausgehen, dass es auf psychologischer Ebene grobe Verzerrungen in der Wahrnehmung von Lust und Gewalt bei diesen Individuen gibt, dass eine gehörige Portion Machtgefühl mit in diese Denkweise einfließt, die ultimative Dominanz über einen Menschen, steht wohl außer Frage.
Ethik
Auf einer moralisch/ethischen Ebene ist Kannibalismus immer noch ein Zeichen größter Dissonanz zwischen dem Menschen und den Tieren (selbst wenn Kannibalismus dort nicht so oft vorkommt, wie man eventuell annimmt), weshalb Menschen, die ihresgleichen verzehren, eine Grenze übertreten, die für viele nicht rückgängig zu machen ist. Tatsächlich spielen natürlich die Umstände mit hinein, ebenso wie die Tatsache, ob das Opfer bereits tot war oder extra dafür getötet wurde. Im Falle der Flugzeugüberlebenden – einer Situation, in der die Überlebensinstinkte eine große Rolle gespielt haben – sollte man nicht zu sehr werten. Fälle wie die von Journalist William Seabrook, der aus journalistischen Gründen Menschenfleisch aß und dann beschrieb, sind da jedoch völlig zu Recht kritisch zu betrachten, da die Grenze zwischen Wissensdurst und menschlichen Anstands für derartige Dinge nicht überschritten werden sollten.
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