Gestern wäre der Dramatiker und Autor Heiner Müller 80 Jahre alt geworden. Grund genug hier einmal wieder seine Werke und seinen politischen Einsatz in unser Gedächtnis zu rufen.
Ich bin ein großer Freund seiner kritischen Schriften, Theaterstücke und Gedichte, weshalb ich euch morgen den Autor auch noch einmal näher vorstellen werde.
Heute wollte ich eigentlich ein Gedicht von ihm online stellen und bin dann bei meiner Recherche über seine berühmte Rede vor Demonstranten in Berlin am 4. November 1989 gestolpert. Beim Lesen musste ich dann breit grinsen, denn einiges ist heute immer noch extrem aktuell, ob nun im Westen oder im Osten. Daher habe ich mich an dieser Stelle für die Rede entschieden:
„Ein Ergebnis bisheriger DDR-Politik ist die Trennung der Künstler von der Bevölkerung durch Privilegien.
Wir brauchen Solidarität statt Privilegien.
Ich lese einen Aufruf der Initiative für unabhängige Gewerkschaften:
Kolleginnen und Kollegen, was hat der FDGB in 40 Jahren für uns getan? Hat er die Frage der Arbeitszeitverkürzung als ständige Forderung an die Betriebsleitungen gerichtet? Warum hat er nicht die 40-Stunden-Woche mit uns erkämpft? Hat er dafür gesorgt, daß unsere Löhne der schleichenden Inflation angepaßt werden? Warum sind nicht ständige Tarifverhandlungen über Lohnerhöhungen geführt worden? Wo stehen die Funktionäre des FDGB, wenn in unserem Betrieb neue Normen eingeführt werden? Auf unserer Seite? Verhindern sie die Normen, bevor nicht klar ist, daß wir auch entsprechend bezahlt werden? Wie kann der FDGB als unser angeblicher lnteressenvertreter es zulassen, daß wir im Durchschnitt 10 Tage weniger Urlaub haben als unsere Kollegen im Westen? Hat der FDGB sich für die Herabsetzung des Rentenalters stark gemacht? Hatten wir schon erlebt, daß die Betriebsgewerkschaftsleitung den staatlichen Plan in unserem Interesse nicht akzeptiert? Haben wir überhaupt schon mal erlebt, daß die Gewerkschaft etwas gegen den Staat und die Partei für uns durchsetzt? 40 Jahre ohne eigene Interessenvertretung sind genug. Wir dürfen uns nicht mehr organisieren lassen, auch nicht von neuen Männern und Frauen. Wir müssen uns selbst organisieren. Die nächsten Jahre werden für uns kein Zuckerschlecken. Die Daumenschrauben sollen angezogen werden. Die Preise werden steigen und die Löhne kaum. Wenn Subventionen wegfallen, trifft das vor allem uns. Der Staat fordert Leistung. Bald wird er mit Entlassung drohen. Wir sollen die Karre aus dem Dreck ziehen. Wenn der Lebensstandard für die meisten von uns nicht erheblich sinken soll, brauchen wir eigene Interessenvertretungen. Gründet unabhängige Gewerkschaften.
Darf ich noch einen persönlichen Satz sagen: Wenn in der nächsten Woche die Regierung zurücktreten sollte, darf auf Demonstrationen getanzt werden.“
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