„Danse Macabre“ von Charles Baudelaire: Düster, poetisch, kritisch

Charles Baudelaire gehört wohl zu den unumstritten berühmtesten Dichtern Frankreichs, wenn nicht sogar weltweit. Doch über was sich viele Leute noch streiten, sind die Inhalte seiner Gedichte.

Charles Baudelaire war nach langer Zeit wieder einer der ersten Dichter, der über ALLE Themen und Facetten des Lebens geschrieben hat. Tod, gesellschaftliche Kritik, Unangepasstheit, Leichen, Krieg oder Depression finden in seinen Texten ebenso einen Platz wie „einfache“ Natur- oder Tierbeschreibungen, Verlangen, Liebe und Mystik. Er hat sich nicht dem Konventionellen und damals Modernen angepasst, sondern so geschrieben, wie ihm es passte.

Selbst heute sind viele, ähnlich wie bei Gottfried Benn, noch bei einigen Textpassagen mehr oder weniger entsetzt oder angeekelt. Sein wohl berühmtestes Werk ist der Gedichtband „Die Blumen des Bösen“ („Les fleurs du mal“)

Seine Sprache ist stets poetisch und vor allem wortgewaltig ohne zu viel aufzutragen. An einigen Stellen kann man ihn vielleicht mit Edgar Allen Poe vergleichen.

Hier also eines seiner unheimlichsten und, wie ich finde, poetischsten Gedichte, bei dem er trotzdem die Kritik an der Menschheit nicht aus den Augen verliert:

Danse macabre

Stolz wie ein Lebender von edelster Statur,
Mit Handschuhn, Taschentuch und großem Blumenstrauß,
Sieht, ungeniert und lässig, diese Kreatur
Närrisch wie eine hagere Kokette aus.

Sah man solch schmale Taille je auf einem Ball?
Verschwenderisch des reichen Kleide Weite fließt
Auf einen dürren Fuß herab in üppigem Fall,
Den, hübsch wie eine Blume, ein Quastenschuh umschließt.

Die Rüschen, die den Rand des Schlüsselbeins umspielen,
Wollüstig wie sich Bäche an den Felsen drängen,
Sie wehren schamhaft alle Späße ab, die zielen
Auf jenen schauerlichen Reiz, den sie verhängen.

Die tiefen Augen sind ganz finster und ganz leer,
Der Schädel, der mit Blumen kunstgerecht verziert,
Schwankt auf den zarten Wirbeln sachte hin und her.
O Zauber des Nichts, wunderlich ausstaffiert!

Du seiest nur ein Zerrbild, werden manche meinen,
Die sich am Fleisch berauschen, sie begreifen nicht
Die unerhörte Eleganz von menschlichen Gebeinen.
Großes Skelett, das dem, was mir gefällt, entspricht!

Kommst du, das Fest des Lebens mit feixendem Gesicht
Zu stören? Oder treibt dich älteres Verlangen,
Das dir noch immer die lebendigen Knochen sticht,
Daß du zu dem Spektakel der Lüste hingegangen?

Hoffst du, der Kerzenschimmer und das Geigenklingen
Verscheucht den Alptraum, welcher dich verlacht,
Und willst du dies im Sturm der Orgien erringen,
Daß er die Hölle dir im Herzen entfacht.

Du unversiegter Quell von Dummheit und von Unrecht!
Gefäß, wo immerwährend alte Qualen kochen!
Ich seh, durch deiner Rippen gebogenes Geflecht
Kommt unersättlich noch die Natter angekrochen.

Ich fürchte wahrlich nur, daß die Koketterie
Doch keinen Preis erringt, der ihre Mühe wert;
Die Sterblichen verstehen diese Scherze nie!
Der Reiz des Grauens wird von Starken nur begehrt!

Voll grausiger Gedanken die Augenhöhlen gähnen,
Und den gemessenen Tänzer weht ein Schwindel an,
Daß er das ewige Lächeln von zweiunddreißig Zähnen
Nicht ohne bittren Ekel mehr betrachten kann.

Doch wer hat kein Skelett in seinen Arm gedrückt,
Und wer mag nicht von toten Dingen speisen?
Was liegt am Wohlgeruch, am Kleide, das reich geschmückt?
Wer Abscheu zeigt, der muß sich selber schöner preisen.

Du nasenlose Bajadere, kühne Metze,
Sag doch zu diesem Tänzer, zeigt er sich gekränkt:
“Mein Liebling, trotz der Kunst des Schminkens, die ich schätze:
Du riechst nach Tod! Gebein mit Moschusduft getränkt;

Verwelkter Jüngling, Dandy, mit rasierten Wangen,
Ergrauter Lebemann und übertünchter Leichnam,
Der Reigentanz des Todes nimmt auch euch gefangen
Und schleift euch zu dem Ort, von dem nie Botschaft kam!

Vom kalten Seineufer zum heißen Ganges dehnt
Die Herde Sterblicher sich aus, sieht nicht hinauf,
Sieht nicht das Loch, das finster in der Ecke gähnt,
Den Engel mit Trompete, schwarz wie ein Büchsenlauf.

Es wundert sich der Tod, wie allerorts, allzeit
Die Menschen lächerlich sich an der Sonne winden;
Und auch nach Myrrhe duftend will er ihre Tollheit
Oftmals mit seiner Ironie verbinden!”

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