Gentleman, der wohlgeborene Ehrenmann, der liebenswürdige Aristokrat oder der ausgestorbene Engländer? Bis heute ist gentlemanlike, wer ein gepflegtes elegantes Äußeres hat, zuvorkommend und bescheiden ist und den Frauen charmant die Tür aufhält. Die Gentlemen des 21. Jahrhunderts konkurrieren mit den Bad Boys und werden schnell in die falsche Schublade gesteckt.
Heute, wo sich deutsche Reggae-Musiker ungeniert Gentleman nennen dürfen und Clowns sich regelmäßig über das etwas steife, englische Vorbild lustig machen, ist zu befürchten, dass die männliche Spezies des Gentleman ausgestorben ist. Wenn sich ein Mann heute zu gut benimmt und anzieht, wird er als schwul abgestempelt. Nur noch einige kleine Gesten und die Symbolik dieses Mythos bleiben bestehen. Doch die richtigen Gentlemen haben ihren guten Ruf eingebüst.
Was war ein echter Gentleman?
Ethymologisch setzt sich der Begriff Gentleman aus dem englischen liebenswürdig, gütig und Mann zusammen. Früher war ein echter Gentleman Einer aus dem Adel, der ohne Arbeit ein luxuriöses Leben führen konnte. Trotzdem legte ein Gentleman viel Wert auf Bildung und vertrat ethisch-moralisch einwandfreie Ansichten.
In jeder europäischen Sprache existiert eine ähnliche Entsprechung zu Gentleman. Damit kann die Ideologie schon mal keine Erfindung der Engländer sein, dennoch orientiert sich das Ideal stark an englischen Sitten und Werten.
Im Deutschen sprechen wir von Ehrenmann, wenn wir von jenen Vertretern des männlichen Geschlechts sprechen, die wir für besonders ehrenhaft und edelmütig halten. Aber wie sich schon an den Begriffen unschwer erkennen lässt, ist die Idealisierung dieser Männer in Deutschland ganz schön eingestaubt. Doch wie kam es zu den negativen Attributen in der Etikette des Gentleman?
Gentlemen: Opfer des Feminismus?
Vielleicht litt das Ideal des Gentleman unter der aufsteigenden sozialen Rolle der Frau. Schließlich war die Frau nur Schmuck für den Gentleman und er machte seine edlen Finger nie schmutzig für die Hausarbeit oder die Kindererziehung. In seinen Augen gehörte die Frau ins Haus und hatte hübsch auszusehen. Dass eine Frau auch ein Recht auf Bildung hat, war im Leben eines Gentleman nicht vorgesehen.
Dieses gesellschaftliche Bild wurde durch feministische Bewegungen sicher stark verändert. Und wenn es einen Gentleman gab, warum gab es dann nicht auch eine Gentlewoman? Wo blieb da die Gleichberechtigung der Geschlechter? Vielleicht sind die Frauen ja selbst Schuld daran, dass es solche Männer, denen sie so oft kopflos hinterheulen, nicht mehr gibt. Ohne Adel und Edelmut ließ sich die Mythologie der Gentlemen jedenfalls nicht in das moderne Zeitalter übertragen. Doch einige Symboliken verweisen bis heute auf vergangene Werte.
Was bleibt vom Statussymbol Gentleman?
Einige Züge des Wesens der echten Gentlemen gelten auch heute noch als ehrenhaft. Doch besonders sind es die Statussymbole, die heute für dieses Wesen stehen. Wie viel tatsächlich noch an Ehrenhaftem hinter der Fassade zu finden ist, bleibt dabei eine offene Frage. Vielleicht ist das gentlemanlike-Sein heute instrumentalisiert worden. Deshalb gibt es vermutlich keine echten Gentleman mehr, sondern nur noch billige Kopien von ihnen.
Der Gentleman von heute kleidet sich edel und teuer, gerne auch etwas retro, fährt ein charismatisches Auto, spricht ruhig und bedacht und flirtet nach der alten Schule. Wenn ein Mann heute einer Frau die Tür aufhält oder ihr im Restaurant den Stuhl wegrückt, geht er schon als Gentleman durch. Das ist wohl der traurige Beweis dafür, dass es die richtigen Gentlemen überhaupt nicht mehr gibt.